Ein Zero Waste Innovation Lab für die Gastronomie

Claus-Heinrich Daub; Monisser Altermatt; und Carole Gerhard

Das Café Spurlos (Foto: Impact Hub Basel)

Die Schweiz zählt in der öffentlichen Wahrnehmung weltweit zu den Vorzeigeländern was den Schutz der Umwelt betrifft. Ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrssystem oder eine Energieversorgung mit einem Anteil von rund 75% erneuerbarer Energien repräsentieren jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere glänzt weniger. So kommt die Schweiz im aktuellen Sustainable Development Report (SDSN und Bertelsmann Stiftung 2021) nur auf Rang 16. Die größten Schwächen der Eidgenossenschaft im Bereich Umweltschutz zeigen sich in den Handlungsfeldern des Sustainable Development Goals (SDG) 12 «Responsible Consumption and Production». Das hohe Wohlstandsniveau der Schweiz, kombiniert mit einer steigenden Bevölkerungszahl und einer großen Lust am Konsum, führt zu einer auch im europäischen Vergleich enormen Menge an Siedlungsabfällen. Diese stieg im Zeitraum zwischen 2000 und 2016 von 659 auf 716 kg pro Person an (BAFU 2018, 27).

Neben Siedlungsabfällen mit 6,1 Mio. Tonnen machen biogene Abfälle mit 5,7 Mio. Tonnen einen hohen Anteil der jährlichen Abfallmenge aus (BAFU, 2018, 160). Dabei spielen die in den Privathaushalten und der Gastronomie entstandenen Lebensmittelverluste, der sogenannte «Food Waste», eine besonders negative Rolle, stehen Lebensmittel doch am Ende der Wertschöpfungskette und haben auf dem Weg vom Feld auf den Teller bereits zahlreiche Umweltbelastungen verursacht: angefangen bei der Nutzung von Ressourcen über den CO2-Ausstoß während des Transports bis hin zu negativen Auswirkungen auf die Biodiversität, auf die jüngste Studien eindrücklich hinweisen (Benton et al. 2021, 2). Somit erscheint es naheliegend, dass Food Waste vom Stockholm Environment Institut als eines der drei zentralen Themen innerhalb des SDG 12 identifiziert wurde (Chan et al. 2018, 20) – womit wir wieder bei der Achillesferse der Schweizer Nachhaltigkeitsstrategie angelangt wären, denn Schätzungen für die Eidgenossenschaft gehen von einer jährlichen Food-Waste-Menge von 300 kg pro Person aus (BAFU 2018, 162).

Eine vom Bundesamt für Umwelt veröffentlichte Darstellung zeigt den anfallenden Food Waste anteilig pro Verursacher. Demnach macht Food Waste aus der Gastronomie und den Privathaushalten nicht nur veritable 50 % der Gesamtmenge aus, dieser muss auch vornehmlich «stofflich-energetisch» verwertet werden, landet also vielfach in einer Biogasanlage. Vermeidungsstrategien sind gerade in diesem Bereich mithin weitaus sinnvoller als Verwertungsstrategien.

Abbildung 1: Lebensmittelabfälle in der Schweiz gemäß BAFU

Zero Waste für die Gastronomie

Die Gastronomie als ein Teilbereich des Gastgewerbes erwirtschaftet in der Schweiz jährlich einen Umsatz von rund 15 Milliarden Franken. Sie zählt zwar mit einem Anteil an der Bruttowertschöpfung von etwas mehr als einem Prozent nicht zu den großen Branchen, allerdings schlummert in den Betrieben ein großes Potenzial an Abfallvermeidungs- und -einsparmöglichkeiten. Diese sind keinesfalls nur aus Perspektive des Umweltschutzes relevant. Eingesparte Abfallmengen sind bares Geld wert. So konnte in der Prozessanalyse des vom Bund in der Schweiz unterstützten Branchenzusammenschlusses «United Against Waste» gezeigt werden, dass Beratungs- und Weiterbildungsangebote zur Reduktion der Lebensmittelabfälle in den teilnehmenden Betrieben zu einer Reduktion der Lebensmittelverluste um 30 % bis 75 % führten (BAFU 2018, 162).

Die angesprochene Doppelperspektive aus Umweltschutz und Erreichung der globalen Entwicklungsziele einerseits sowie rentablen Geschäftsmodellen andererseits leitete auch die Etablierung des Zero Waste Innovation Lab (ZEWIL) an. In dem von der Schweizer Agentur für Innovationsförderung «Innosuisse» mitfinanzierten Forschungsprojekt wird in Zusammenarbeit zwischen dem Impact Hub Basel und dem Institut für Unternehmensführung der Fachhochschule Nordwestschweiz ein gastronomisches Zero Waste-Konzept mit dem Ziel einer systematischen Abfall- und Food Waste-Vermeidung in der Gastronomie entwickelt und wissenschaftlich begleitet.

Der Begriff «Zero Waste» geht auf Konzepte einer «Lean Produktion» zurück, in der jede Art von Verschwendung an Material, Personal oder Zeit vermieden werden soll. Da es sich um keinen geschützten Begriff handelt, gibt es bislang jedoch keine allgemeingültige Definition von Zero Waste. Am weitesten verbreitet und akzeptiert ist die Definition der «Zero Waste International Alliance» (ZWIA) aus dem Jahr 2002, die sich in ihrer aktuellen Version aus dem Jahr 2018 übersetzt so liest: “Die Erhaltung aller Ressourcen durch verantwortungsbewusste Produktion, Verbrauch, Wiederverwendung und Rückgewinnung von Produkten, Verpackungen und Materialien ohne Verbrennung und ohne Ableitung von Stoffen in Boden, Wasser oder Luft, die die Umwelt oder die menschliche Gesundheit gefährden.”

Eine adäquate Zero-Waste-Strategie bezieht sich somit auf die gesamte Wertschöpfungskette eines Produkts – von seiner Beschaffung bis hin zu seiner Entsorgung – und steht damit auch im Einklang mit den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Im Laufe der Jahre hat sich die Definition von Zero Waste weiterentwickelt, wobei anstelle des Materialrecyclings der höchstmögliche Wiedereinsatz sowie die Rückgewinnungseffizienz der eingesetzten Rohstoffe in den Vordergrund gerückt sind. Dies spiegelt auch die «Zero Waste Hierarchy» der ZWIA wider, die eine Abfolge von Maßnahmen und Strategien zur Unterstützung des «Null-Abfall-Systems» zeigt. Sie reichen von besonders sinnvollen Handlungsweisen wie Redesign, Reduzieren und Wiederverwenden bis zu den am wenigsten effizienten Ansätzen wie der thermischen Verwertung der Abfälle zur Wärmeerzeugung. Sie dient sowohl als allgemeine Leitlinie für Planungen als auch zur Evaluation konkreter Lösungsvorschläge (ZWIA, 2021).

An was es derzeit allerdings noch mangelt sind konkrete Richtlinien und Lösungsvorschläge für eine integrierte Zero-Waste-Strategie, die spezifisch auf einzelne Branchen zugeschnitten ist. In der Gastronomie wird dies vor allem darin sichtbar, dass sich Betriebe primär auf die Vermeidung von Food Waste konzentrieren. Zero Waste geht jedoch weit darüber hinaus und umfasst die Schonung aller Arten von Ressourcen, die in einem Gastronomiebetrieb eingesetzt werden, nicht ausschließlich Lebensmittel.

Das Zero Waste Innovation Lab (ZEWIL)

Vor diesem Hintergrund werden im ZEWIL vier Teilstrategien entwickelt, die das Thema Abfall bzw. Verschwendung von Ressourcen in der Gastronomie auf verschiedenen Ebenen angehen: (1) Forschung und Dokumentation; (2) Bildung und Sensibilisierung; (3) Innovations- und Erlebnisraum; (4) Skalierung. Als “Spielwiese” zur Entwicklung und Umsetzung dieser Strategien dient das vom Impact Hub Basel selbst etablierte und betriebene “Café spurlos”, dessen Name Programm ist, da es möglichst keine materiellen Spuren hinterlassen möchte: Es ist einerseits ein “normaler” Gastronomiebetrieb, andererseits aber auch Forschungsgegenstand und Plattform für Aktivitäten aus den Teilstrategien des ZEWIL.

Café Spurlos – die Innenansicht (Foto: Impact Hub Basel)

Die in der ersten Teilstrategie durchgeführte wissenschaftliche Forschung und Dokumentation der Vorgänge im Café ermittelt den tatsächliche Abfall- und Ressourcenverbrauch und führt im Laufe des Projekts durch die Umsetzung der ausgearbeiteten Konzepte zu einer fortschreitenden Reduktion der Abfälle. Die Konzepte und Erfahrungen werden in einem online bereitgestellten Leitfaden für andere Gastronomiebetriebe zusammengefasst. Daraus erwächst eine Nachfrage nach vertieften Informationen und Know-how-Vermittlung, die in der zweiten Teilstrategie in Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Thema Zero Waste angegangen werden: Verschiedene Zielgruppen wie z.B. Studierende, interessierte Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch Gastronomiebetriebe werden in Veranstaltungen, Workshops und Seminaren über die Möglichkeiten zur Abfallreduktion und Ressourcenschonung aufgeklärt.

Während die beiden genannten Teilstrategien einen eher “klassischen” Zuschnitt haben, geht die dritte einen entscheidenden Schritt weiter und spielt dabei zugleich die Stärken und USPs eines Impact Hubs aus: Das ZEWIL bietet einen Innovations- und Erlebnisraum, in dem im Rahmen eines Accelerator-Programms ausgewählte Start-ups die Möglichkeit haben, die Prototypen ihrer Zero Waste-orientierten Produkte sowie ihre Ideen direkt im Café spurlos zu testen und im Idealfall zur Marktreife zu führen. In einer Zusammenführung der Erkenntnisse aus allen Teilstrategien werden in einem Skalierungsprozess schließlich konkrete Beratungsdienstleistungen für Gastronomiebetriebe entwickelt und angeboten, die diesen eine gezielte, auf den jeweiligen Betrieb zugeschnittene Abfallvermeidungsstrategie ermöglichen – mit den damit verbundenen positiven ökologischen und ökonomischen Wirkungen. Im Idealfalle führt dies mittelfristig zu einer schweizweiten Durchdringung der Gastronomie mit dem Zero-Waste-Konzept.

Covid19 als Bremser und Treiber

Die Covid19-Pandemie hat in der Schweiz zu großen Verwerfungen in der Gastronomie geführt. Auch das Café spurlos war davon betroffen und musste bereits rund einen Monat nach Eröffnung wieder schließen und stand im Winter 2020/21 weitgehend still. Bis heute schränken regulatorische Vorgaben den Cafébetrieb ein. Dies hatte direkte Auswirkungen auf das Forschungsprojekt – allerdings nicht nur negative. So hatte sich gezeigt, dass die Erprobung von Start-up-Produkten und Ideen im laufenden Cafébetrieb schwierig umzusetzen ist und dieser Teil nochmals überdacht werden muss. Im Falle eines Vollbetriebs des Cafés wäre dieser Erkenntnisgewinn wahrscheinlich mit größeren “Kollateralschäden” einhergegangen. Trotz der Corona-Lage als ausgesprochen attraktiv erwiesen sich die Veranstaltungen – inklusive der online stattfindenden. Interessanterweise stieß die Zero-Waste-Thematik nicht nur bei Gastronomiebetrieben, sondern auch bei der Bevölkerung auf Interesse. Im Sinne eines ersten Vorstoßes zur Entwicklung maßgeschneiderter Beratungsangebote unterstützt das ZEWIL aktuell den Zürcher Ableger der internationalen Organisation “GreenBuzz” bei der Entwicklung und Umsetzung einer “GreenBusiness Challenge”, die in Kollaboration u.a. mit dem WWF Schweiz im Frühjahr 2022 starten und Unternehmen darin anleiten wird, ihre Caféterien klimafreundlicher und nachhaltiger zu führen.

Was die Corona-Pandemie definitiv ins Bewusstsein gerückt hat, ist die Frage, ob und inwiefern gezielte Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit in Betrieben – in diesem Fall Zero-Waste-Strategien in Gastronomiebetrieben – das Potenzial haben, Kosten einzusparen, oder ob der Kostendruck das Bestreben nach mehr Nachhaltigkeit vielmehr verdrängt. Die Antwort wird die Zukunft liefern.

Quellen

Benton, T.G., Bieg, C., Harwatt, H., Pudasaini, R. and Wellesley, L. (2021), Food system impacts on biodiversity loss Three levers for food system transformation in support of nature, Chatham House Energy, Environment and Resources Programme Research Paper, London.

Bundesamt für Umwelt BAFU (2018): Umwelt Schweiz 2018: Bericht des Bundesrates, Bern.

Chan, S., Weitz, N., Persson, Å. and Trimmer, C. (2018). SDG 12: Responsible Consumption and Production. A Review of Research Needs. Technical annex to the Formas report Forskning för Agenda 2030: Översikt av forskningsbehov och vägar framåt. Stockholm Environment Institute, Stockholm.

Sustainable Development Solutions Network (SDSN) und Bertelsmann Stiftung (2021): Sustainable Development Report, The Decade of Action for the Sustainable Development Goals.

ZWIA 2018 (> Link)
ZWIA 2021 (> Link)

 

Prof. Dr. Claus-Heinrich Daub
lehrt nachhaltiges Management und Marketing an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.
clausheinrich.daub@fhnw.ch

 

 

Monisser Altermatt
ist wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Unternehmensführung der FHNW.
monisser.altermatt@fhnw.ch

 

 

Carole Gerhard
ist wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Unternehmensführung der FHNW.
carole.gerhard@fhnw.ch

 

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